Weltkriegsbombe in Halle: Aufatmen nach neun Stunden
Lage- und Hintergrundbericht von Martin Schramme | letzte Aktualisierung: 30.10.2011, 11:00 Uhr

kommentiertes Bild von der Bombe in Halle Saale, Foto: Martin Schramme

(HALLE Saale 27.10.2011) Halle Saale ist selten in den bundesweiten Schlagzeilen. Mit dem Fund einer 250 Kilogramm-Bombe hat es die Stadt nun geschafft. ARD, Stern und Spiegel berichteten. Am 27. Oktober 2011 wurde sie gegen 7.40 Uhr bei Schachtungsarbeiten im Hof eines Altbaus in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rezeptionsbereich des Elisabeth-Krankenhauses gefunden. Im Verlauf des Tages wurden sämtliche Rettungs- und Ordnungskräfte (Rettungsdienst, Polizei, Feuerwehr, Ordnungsamt) zur Sicherung des Fundortes und zur Evakuierung von 489 Patienten des Krankenhauses zusammengezogen. Im Umkreis von 400 Meter rund um die Bombe wurden am Nachmittag auch Wohnungen, Straßen und Plätze geräumt. Zu den evakuierten Einrichtungen gehörten auch der Kindergarten "Taubenhaus" (Heinrich-Pera-Straße, ehemals Taubenstraße) direkt neben dem Elisabeth-Krankenhaus, Saale-Klinik und die nahegelegene Schulstadt Franckesche Stiftungen.

Bombenexperten bergen die 250 Kilo-Bombe wenige Meter neben dem Elisabeth-Krankenhaus in Halle | Foto: Martin Schramme Die Grenzen der Evakuierungszone waren im Westen die Saale, Holzplatz, im Süden Cansteinstraße, Thomasiusstraße, Rudolf-Breitscheid-Straße, Phillipp-Müller-Straße, im Osten Dorotheenstraße, Am Leipziger Turm, Wilhelm-Külz-Straße, im Norden Groß Steinstraße, Ankerstraße. Tatsächlich hat die Feuerwehr während der Bombenentschärfung (Beginn: 16 Uhr) die komplette Leipziger Straße gesperrt. Auf den Straßen rings um Halles Stadtzentrum kam es zu langen Staus.

Mitten in der Gefahrenzone lag auch die Hochstraße, Halles wichtigste Verkehrsachse in Ost-West-Richtung. Sie wurde zur Hauptverkehrszeit komplett gesperrt. Wie Krankenhaus-Direktor Manfred Brümmer sagte, wurden die Patienten auf die vier anderen Kliniken der Stadt (Uniklinikum, Bergmannstrost, Diakonie, Martha-Maria) verteilt. Er zeigte sich sehr dankbar für die schnelle Hilfe der Kollegen.

Über die Situation machte sich auch Stiftungsdirektor Thomas Müller-Bahlke ein Bild von der Lage. Wenn alles gut geht, würde er die entschärfte Bombe gerne als Ausstellungsstück in die Franckeschen Stiftungen nehmen. Sie dokumentiere einen Teil der Geschichte des Hauses. Bei einem Fliegerangriff alliierter Bomber im Zweiten Weltkrieg am 31. März 1945 (Ostern) fielen zahlreiche Bomben auch auf dieses Areal. Dabei wurden Gebäude an der Brunos Warte, des Elisabeth-Krankenhauses (damals auch Lazarett) und der Franckeschen Stiftungen getroffen. An jenem Tag war zum 501. Mal Fliegeralarm in Halle. Die Amis griffen an und trafen auch das Kaufhaus Ritter und Halles Rathaus, das wegen der schweren Bombentreffer in der DDR komplett abgerissen wurde.

Halle war mehrfach Zielort alliierter Bombenangriffe. 1944 und 1945 besonders schwer getroffen wurden der Riebeckplatz (Mitte) und die Siebel-Flugzeuge-Werke in der Frohen Zukunft (Nordosten). 250 Kilobomben wurden bevorzugt in Stadtquartiere geworfen.

Die Sprengmittelbeseitigungsdienste haben eine gefährliche Arbeit. Denn nicht immer gelingt die Entschärfung. In den vergangenen fünf Jahren explodierten Bomben mehrfach Bomben, darunter bei Aschaffenburg und in Göttingen. Es gab mehrere Tote.

Während der Sicherungsarbeiten wegen der Bombe übertrafen sich einige Medien erwartungsgemäß in ihren Katastrophenmeldungen. Den Vogel schoss die ARD ab. Auf ihrer ARD-Text-Seite war am Nachmittag zu lesen, dass 200.000 Menschen (also die gesamte Stadt Halle) in Sicherheit gebracht werden müsse. Das Interesse an der Bombe und den aktuellen Nachrichten dazu, war so groß, dass die Internetseiten der Lokalzeitung MZ und des Lokalsenders TV Halle am Nachmittag/Abend des 27. Oktoeber länger nicht zu erreichen waren.

ARD-Ente zum Bombenfund in Halle Saale, Foto: Martin Schramme zeitlicher Ablauf

7.40 Uhr: Bei Schachtarbeiten an einer Baustelle in einem Hinterhof an der Mauerstraße stoßen Arbeiter auf eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg.

9.30 Uhr: Lagebesprechung des Stabes für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) der Stadt Halle (Saale) mit Polizei-, Rettungs- und Spezialkräften

10 Uhr: Die Evakuierung in einem Radius von 400 Meter rund um den Fundort wird beschlossen. Es wird damit begonnen, das komplette Elisabeth-Krankenhaus zu evakuieren und 489 Patienten auf die anderen vier Krankenhäuser der Stadt (Uniklinikum, Bergmannstrost, Diakonie und Martha-Maria) zu verteilen.

12 Uhr: Die Brandberge-Sporthalle wird als Notquartier vorbereitet, in der Innenstadt entstehen Sammelpunkte für den Abtransport der Anwohner. Die Evakuierung des Elisabeth-Krankenhauses und der Franckeschen Stiftungen läuft.

13 Uhr: Busse beginnen, die Bewohner der Innenstadt aus der Gefahrenzone zu fahren. Lautsprecherwagen sollen Anwohner und Geschäftsleute informieren. Es geht um 20.000 Hallenser (rund zehn Prozent der Bevökerung).

Foto: Martin Schramme 14 Uhr: Der Kampfmittelbeseitigungsdienst ist erneut vor Ort und macht Fotos von der Bombe. Das Elisabeth-Krankenhaus wird auf den Stromlos-Betrieb vorbereitet. Auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen darf sich ab 15 Uhr keiner mehr aufhalten. Der Kindergarten und die Schulen sind bereits geräumt.

15 Uhr: Die Evakuierung ist abgeschlossen. Die Hochstraße sowie rund 40 weitere Zufahrten sind gesperrt. Halles Kirchen bieten ihre Hilfe an. Der Sicherheitsradius wird auf 500 Meter erweitert. Jetzt wird auch die Strahlenklinik in der Niemeyerstraße evakuiert. 241 Personen sitzen in der Brandberghalle (Sporthalle) und warten, was weiter passiert. Das MDR-Funkhaus an der "Spitze" ist komplett gerämt, bis 19 Uhr ruht dort der Sendebetrieb.

16 Uhr: Die Entschärfung der Bombe soll beginnen. Die Feuerwehr hat nun auch die komplette Leipziger Straße (Halles wichtigste Ladenstraße zwischen Hauptbahnhof und Marktplatz) gesperrt. Es ist Hauptverkehrszeit, es gibt riesige Staus. Halles Marktplatz ist wie leergefegt. Das Rathaus komplett geräumt. Auch Radio Brocken und Radio 89.0 RTL vom Funkhaus Halle mussten das Feld räumen.

16.30 Uhr: Weil sich doch noch Passanten im Sperrgebiet aufhalten, wird die Entschärfung auf 17.30 Uhr verschoben und damit in die Dunkelheit, was eigentlich verhindert werden sollte. Die Oberbürgermeisterin gibt eine außerordentliche Pressekonferenz. 600 Hilfskräfte sind im Einsatz. Die amerikanische Fliegerbombe ist deformiert und hat zwei Zünder. Wenn sie sich nicht vor Ort entschärfen lässt, soll sie zur Sprengung abtransportiert werden.

17.45 Uhr: Die Bussammelpunkte zur Evakuierung der Hallenser sind aufgelöst. Alle, die sich noch im Sperrgebiet befinden, werden aufgefordert, das Gebiet sofort zu Fuß zu verlassen. Was in Halle los ist, berichtet sogar die ARD-Nachrichtensendung Tagesschau. Im Multimediazentrum (MMZ) wollte die CDU eigentlich ihren Kandidaten für die Oberbürgermeister-Wahl 2012 bestimmen. Abgesagt. Das MMZ ist längst evakuiert, die Veranstaltungsteilnehmer kommen wegen der vielen gesperrten Straßen und langen Staus ohnehin nicht durch.

18 Uhr: Zwei Stunden später als geplant beginnt die Entschärfung der Bombe. Zwei Aufschlagzünder müssen entfernt werden.

18.33 Uhr: Die Pressestelle der Stadt Halle meldet, dass die Bombe erfolgreich entschärft wurde. Halle atmet auf. Zwischen 18 Uhr und 18.30 Uhr konnten die beiden Fachleute (30 und 55 Jahre alt) die beiden Aufschlagzünder entfernen.

18.45 Uhr: Der Polizeipressesprecher lädt die Medien zur Vor-Ort-Besichtigung ein.

19 Uhr: Medienleute von Presse, Funk und Fernsehen nehmen die entschärfte Bombe in Augenschein. Die Helden vom Kampfmittelbeseitigungsdienst Sachsen-Anhalt (KBD) heißen Jürgen Schmidt (55, Kemberg) und Thilo Pierau (30, Ballerstedt, Kreis Stendal).

19.30 Uhr: Die Männer vom KBD bergen mit Hilfe der Feuerwehr die Bombe aus dem Bauloch. Sie wird in einem Fahrzeug des KBD auf eine Holzpalette verladen und zur Fahrt nach Hottendorf vorbereitet. Ohne Zünder sind ihre 70 Kilogramm Sprengstoff nur noch durch extreme Hitzeeinwirkung zur Explosion zu bringen.

21.30 Uhr: Alle Busse und Straßenbahnen fahren wieder nach Plan und auf allen regulären Strecken in Halle.

28.10.2011: Das Elisabeth-Krankenhaus nimmt den Betrieb wieder auf. Die Stadt Halle dankt allen Helfern für einen hervorragenden Einsatz.

PS: Mit Bomben kennt sich auch Halles neue Partnerstadt Savannah in den USA aus. The Tybee Island B-47 crash was an incident on February 5, 1958, in which the United States Air Force lost a 7,600-pound (3,400 kg) Mark 15 hydrogen bomb in the waters off Tybee Island near Savannah, Georgia, USA. During a practice exercise the B-47 bomber carrying it collided in midair with an F-86 fighter plane. To prevent a detonation in the event of a crash and to save the aircrew, the bomb was jettisoned. Following several unsuccessful searches, the bomb was presumed lost somewhere in Wassaw Sound off the shores of Tybee Island. mehr dazu

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